Eine Fahrt nach Wielun, Polen - Teilnahme an der Gedenkfeier zum 01.09.1939

 

Im Zuge der Partnerschaft meiner Heimatgemeinde Flecken Adelebsen mit der Stadt Wieluñ in Polen ist unser Gemeindebürgermeister Horst Pischek mit einer Delegation zu den Staatsfeierlichkeiten anlässlich des 65. Jahrestages des Ausbruchs vom II. Weltkrieg eingeladen worden. Eine Ehre, die bisher Deutschen in dieser Art nicht zugestanden wurde.

 

Da die Einladung vorab sehr kurzfristig kam, wurden vom Bürgermeister sofort die Fraktionsvorsitzenden der Ratsparteien und die Ortsbürgermeister telefonisch informiert und um Teilnahme gebeten. So bekam ich als Fraktionsvorsitzender und Ortsbürgermeister von Lödingsen die Information und am nächsten Tag eine Kopie der Einladung und sagte spontan zu. Hier bin ich auch meinem Arbeitgeber, der T-Com und dem Zentralen Service dankbar, dass mir binnen weniger Tage ermöglicht wurde, an den 2tägigen Festakten und Informationsveranstaltungen teilzunehmen.

 

Der Partnerschaft mit einer polnischen Stadt stand ich persönlich, wie andere meines Heimatortes auch, zu Beginn sehr skeptisch gegenüber. Im Rat wurde die Partnerschaft beschlossen und über die Jahre hörte ich von den Adelebser Besuchen in Ostrowek und Wielun nur positives und lernte die polnischen Delegationen hier im Flecken als freundliche und zuvorkommende Besucher kennen. Somit wurde es Zeit, mir ein eigenes Bild zu machen.

 

Am 30.08.04 um 5 Uhr fuhren wir mit dem Gemeindebus und einem weiteren Pkw mit einer 10köpfigen Gruppe los. Aus den sieben Ortschaften des Flecken Adelebsen waren immerhin 5 Ortsbürgermeister, der Gemeindebürgermeister mit beiden Stellvertretern, der Gemeindebrandmeister und der unverwüstliche Seniordolmetscher Arthur Liefke vertreten.

 

Es wurde abwechselnd gefahren und gegen 18 Uhr sind wir - nach reibungslosem Grenzübertritt, Autobahn-Baustellen auf polnischer Seite, einem Stop and Go von fast 2 Stunden in Breslau - am Rathaus in Wieluñ eingetroffen. Dort wurden wir vom Bürgermeister Mieczyslaw Majcher, seinem engsten Stab und dem Bürgermeister von Osterburg (der 2. deutschen Partnerstadt Wieluñs), Hartmuth Raden, schon seit 16 Uhr erwartet. Nach einer sehr herzlichen Begrüßung und dem obligatorischen Imbiss, wurden uns der Ablauf der nachfolgenden 2 Tage mündlich genauestens erläutert.

 

Dann ging es mit dem stellvertretenden Wieluñer Bürgermeister in unser Quartier in das rund 25 km entfernte Konopnica, in ein privat geführtes neues modernes Jugendgästehaus (fast Hotelcharakter), in dem beim Abendessen alles weitere per Dolmetscher, und auch selbst in Englisch und mit „Händen und Füssen“, erläutert wurde und wo der Abend nach dem Reisetag dann harmonisch ausklang.

 

 

Nach dem Frühstück um 8 Uhr wurden wir von unserem Dolmetscher Andrzej abgeholt (der die Funktion eines „Direktors“ in der Verwaltung der Stadt ausführt und u.a. für das Schulwesen zuständig ist) und nach Begrüßungen des Landrates Mieczyslaw Luczak des gleichnamigen Kreises Wieluñ und seinen Mitarbeitern ging es für unseren Bürgermeister, die zwei Stellvertreter und den Brandmeister zur Konferenz in das Wieluñer Museum und wir anderen wurden bei einem Rundgang durch die Stadt in die Geschichte eingeführt und besichtigten auch eine Grundschule, die gerade komplett mit Kunststofffenstern und einer neuen Heizungsanlage modernisiert wurde. Vom Rathausturm hatten wir einen guten Überblick über die Stadt in der immerhin 27000 Einwohner leben und arbeiten. Bei dem Rundgang bemerkten wir allerdings auch das nicht nur in den letzten Jahren, sondern insbesondere auch den letzten Wochen und Tagen viel erneuert wurde – was auf vorsichtige Nachfrage, ob dies mit den Staatsfeierlichkeiten und dem Besuch des Präsidenten zu tun hätte – auch lächelnd bejaht wurde.

 

Auf den Fahrten durch die Orte bekam ich als „Delegationsneuling“  auch die ersten Eindrücke der polnischen Lebensqualität und –art.

Häuser sind in allen Variationen vorhanden und von sehr alt über gut erhalten bis zu hochmodern ausgeführt. Die Straßen sind in den Orten und Verbindungen nur auf das Ankommen ausgelegt und  nicht unbedingt in bestem Zustand (mit meinen verwöhnten deutschen Augen gesehen). Die überörtlichen Straßen, vergleichbar unseren Landstraßen, werden allerdings schon in erträglichem Zustand gehalten.

 

Die Landwirtschaft ist wie bei uns Privat. Kombinate oder Großbetriebe sind die Ausnahme. Handarbeit wird groß geschrieben und es gibt nichts, was nicht in mühevoller Arbeit hergestellt werden könnte. Allerdings sind auch schon viele hochmoderne Landmaschinen im Einsatz.

 

Auch in der Industrie und dem Kleingewerbe werden neue Anlagen nach EU-Standard aufgebaut und nach meiner Einschätzung wird Polen nicht mehr allzu lange brauchen, um mithalten zu können. Negativ nach dem EU-Beitritt wurde nur die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf satte 22 Prozent aufgenommen, die der Bevölkerung mit Tagesverdiensten zwischen 10 und 20 Euro sehr zu schaffen macht. Nahrungsmittel sind für unsere Verhältnisse günstig und qualitativ hochwertig.

 

Die Bevölkerung war vom ersten Sehen und Erkennen der „Deutschen“ immer sehr freundlich und hilfsbereit zu uns. Die herzlichen Begrüßungen mit Umarmungen, Küssen und Drücken waren im ersten Moment für mich ungewohnt, weil bei uns doch etwas steifere und distanziertere Umgangsformen herrschen. Kommt man als Besucher neu irgendwo hin, wird sofort der „einheimische Begrüßungsschluck und Kleingebäck“ aufgetischt. So wird einem als Gast die Ehre zuteil, etliche Male am Tag zu Essen und zu trinken und damit ist ein Polenbesuch der schlanken Linie nicht förderlich – wird es doch als „Nichtachtung“ angesehen, wenn man nicht zulangt.

 

Abends haben wir noch einen Abstecher in das kleine Dorf Dymek gemacht. Dort steht das „alte“ Fahrzeug der Feuerwehr Adelebsen – Barterode, dass beim letzten Besuch im April der dortigen Wehr geschenkt wurde. Volker Keilholz wollte sehen, ob das Fahrzeug schon ordentlich untergestellt wurde, weil die Einfahrt der Fahrzeughalle damals zu niedrig war. Wie man unten sieht, ist das Fundament weggestemmt worden und die Durchfahrt nun möglich. Im letzen Monat ist die Wehr mit diesem Fahrzeug schon Meister und Kreismeister bei den Wettkämpfen geworden und es wurden uns stolz die Urkunden und Pokale gezeigt.

  

 

Am nächsten Morgen, dem 1. September, ging es sehr früh nach Wieluñ, da der Tag mit einem Gottesdienst um 8 Uhr begann. Allerdings wurden die Bürger der Stadt schon um 4.40 von zwei überfliegenden historischen Kampfmaschinen und dem Sirenenton für Luftangriff geweckt. In den Ruinen der Pfarrkirche war das Podium für den Gottesdienst aufgebaut. Die Ehrengarde der polnischen Armee war angetreten und der Erzbischof  hielt einen anderthalbstündigen Gottesdienst.

 

Es wurde an die 1200 Umgekommenen des Angriffs gedacht, mit dem der II. Weltkrieg hier in Wieluñ am 1.9.1939 um 4.40 Ortszeit begann. Das erste zerstörte Gebäude und Ziel der Bomber war das Krankenhaus, hier kamen die ersten 32 Menschen ums Leben. Im Laufe der nächsten Stunden marschierte die Deutsche Wehrmacht in Wieluñ ein und nahm die Stadt und begann einen Krieg der Millionen von Leben auf der ganzen Welt forderte.

 

Nun war eine deutsche Delegation hier und gedachte gemeinsam mit den Wieluñer Bürgern und dem gesamten polnischen Volk, das über das 1. polnische Fernsehen live zugeschaltet war der tragischen und grausamen Ereignisse. Es kam kein hasserfülltes Wort, kein böser Blick, kein Tadel.

Gemeinsam soll in die Zukunft geblickt werden und zusammen wollen wir dafür sorgen, dass solches Leid nie wieder geschieht – war der einhellige Tenor. Ein Schauer lief mir über den Rücken als im katholischen Gottesdienst Hunderte Besucher ringsum zum Gebet  niederknieten und außer der Ehrenwache nur unsere deutsche Delegation aufrecht stand, wenn auch mit ehrfürchtig gesenkten Häuptern.

 

Nach dem Gottesdienst ging es in das „Kino“ in dem das philharmonische Orchester aus Lodz ein Konzert gab.

Anschließend wurden wir auf den Platz der Legionen (Marktplatz) geleitet, auf dem eine Bühne für die polnische Staatsführung und die wichtigsten Repräsentanten der Kirche und des Militärs aufgebaut war.

 

Um 12 Uhr enthüllte der Präsident der Republik Polen, Aleksander Kwasniewski, persönlich den Gedenkstein, der an den Beginn des Krieges vor 65 Jahren erinnern soll. Danach durchschritt der Präsident die Ehrenformation der polnischen Armee und begab sich auf das Podium.

 

Unsere deutsche Delegation war auch hier unter den Ehrengästen und konnte alles mitverfolgen. Dolmetscher saßen zwischen uns und übersetzten die Ansprache des Präsidenten und der weiteren Ehrengäste für uns. Die zwei Delegationen aus Deutschland wurden auch erwähnt und es wurde wohlwollend aufgenommen, dass wir der Einladung gefolgt sind.

 

Im Zuge der Feierlichkeiten wurden auch Veteranen aus ganz Polen von Aleksander Kwasniewski geehrt, die dem Angriff der Deutschen getrotzt haben.

 

 

Sie wurden jeweils in den Rang eines Leutnants erhoben und bekamen die höchsten zu vergebenden polnischen Auszeichnungen.

Danach wurde eine Parade des Heeresmusikkorps durchgeführt, die mit Salutschüssen der Ehrengarde endete.

 

Anschließend wurde der Grundstein für ein Denkmal gesetzt, dass vom berühmten polnischen Künstler Wojtek Siudmak noch angefertigt wird. Es nennt sich „Die ewige Liebe“ soll mahnen miteinander verbunden und freundlich umzugehen.

 

In die Urne die unter dem Grundstein eingemauert wurde, kam eine Schriftrolle die den Grund der Erstellung des Denkmales erläutert und dann von allen wichtigen Würdenträgern und auch unserem Gemeindebürgermeister Horst Pischek und dem Osterburger Bürgermeister mitunterschrieben werden durfte. Diese hohe Ehre ist noch keinem anderen deutschen Bürger zuteil geworden und das war das 2. mal an diesem Tag, dass ich sehr berührt von diesem weltpolitischen Geschehen war.

 

Danach ging es zu einem Empfang in das Landratsamt, dort hatten wir auch Gelegenheit mit dem Vertreter der deutschen Botschaft, dem Kultusminister Polens und anderen wichtigen Persönlichkeiten zu sprechen. Es gibt zur Zeit rund 400 Partnerschaften zwischen polnischen und deutschen Städten und Gemeinden und es wird noch ein langer Weg sein, das Verhältnis beider Staaten zueinander felsenfest zu verankern. Es stehen noch zu viele Ansprüche der Vertriebenen aber auch Polens dazwischen. Das Gespräch zwischen Kanzler Gerhard Schröder und Premier Marek Belka hat hier nur eine Atempause verschafft.

 

In einer Privataudienz bei Landrat Luczak und Bürgermeister Majcher wurden am späten Nachmittag nochmals wichtige Gedanken ausgetauscht. Es wurde gefragt, wie wir die Feierlichkeiten empfunden und erlebt hätten und es wurde bekräftigt, die Partnerschaft auf mehr Schultern zu legen. Das nicht nur politische Vertreter und Feuerwehren die nun 5jährigen gegenseitigen Besuche fortführen, sondern unsere Kinder und Jugendlichen, diejenigen sein müssten, die gemeinsam die Zukunft gestalten und leben. Danach gab es Abendessen und es ging zurück in unser Quartier.

 

Am nächsten Morgen stand um 9 Uhr die Verabschiedung beim Wieluñer Bürgermeister auf dem Programm. Wir bekamen zum Abschied jeder das Buch „Wielun, das polnische Guernica“ zu dem aktuellen Anlass in deutsch/polnisch gedruckt mit vielen Illustrationen von 1939 bis 45.

 

Unser Bürgermeister versprach, das sich der Adelebser Förderverein der Partnerschaft mit einer angemessenen Summe an der Erstellung des neuen Denkmales von Siudmak beteiligen wird und dankte für die gute Aufnahme und Gastfreundschaft. Wir dankten alle unseren Dolmetschern und verabschiedeten uns mit einem Gruppenfoto auf der Rathaustreppe.

 

Danach fand der geplante Kurzbesuch im Krankenhaus statt. Wie immer, mit viel Herzlichkeit, persönlichen Begrüßungen und kleinem Snack. Der stellvertretende Landrat begleitete uns an diesem Vormittag und die Chefin des Krankenhauses erläuterte uns das Haus bei der Besichtigung genau. Bürgermeister Pischek und sein 2. Stellvertreter Hilke übergaben (von Ihnen privat aus Praxen gesammelte) chirurgische Instrumente und Geräte und somit schloss sich der Kreis von der Bombardierung des Krankenhauses 1939 bis zur Ergänzung der medizinischen Einrichtung des neuen Krankenhauses nach 65 Jahren.

 

Dann ging es zur Feuerwehr in Biala. Diese war mit einer Abordnung von Jugendfeuerwehr und Feuerwehr das Wochenende vorher im Ortsteil Adelebsen - Güntersen zu Besuch. Hier wurden wir herzlich vom Vorsteher des Ortes Slawomir Swigon und dem Kommandant der FFW begrüßt und nach Führung durch das Gebäude, hatten wir auch noch Gelegenheit, die neue Turnhalle der Schule zu besichtigen. Kosten von 1 Mio. Dollar wurden uns genannt und die Halle mit rund 42 x 21m war schon beeindruckend. Immerhin haben Biala und seine Vororte nur rund 5700 Einwohner.

 

Danach gab es noch ein Mittagessen und nach einer besonders herzlichen Verabschiedung und dem Versprechen sich gegenseitig weiter zu besuchen, konnten wir gegen 14 Uhr den Heimweg antreten.

 

Da das Wetter während der 4 Tage, bis auf einen Vormittag mit viel Regen sehr sonnig war, konnten wir auf der Rückfahrt noch viele Eindrücke des Landes in uns aufnehmen. Über Breslau, Görlitz, Eisenach ging es wieder zurück nach Adelebsen und einige Fahrerwechsel später, am Freitagmorgen zwischen 1 und 2 Uhr morgens, wurden die Teilnehmer dann von mir an ihren Haustüren abgesetzt und für mich ging eine erlebnisreiche Zeit mit neuen Eindrücken und neu gewonnenen Freunden zu Ende.

 

Norbert Hille, 05.09.04


Dies ist der [040901.cnt]. Besuch des Berichtes der Wielunfahrt!